Die chinesische Kredit-Bombe
Der chinesische Immobilien-Gigant Evergrande steht vor dem Kollaps. Dem größten Baukonzern der Welt steht das Wasser bis zum Hals. Fällige Zinszahlungen mussten bereits mehrmals gestundet werden. Dabei sitzt der Konzern auf einem gigantischen Schuldenberg von über 300 Milliarden US-Dollar. Reißt eine Insolvenz von Evergrande die chinesische Wirtschaft in den Abgrund oder greift die Regierung ein?
Noch vor ein paar Jahren war die Evergrande Group das wertvollste Immobilienunternehmen der Welt. Gründer Xu Jiayin gehörte zu den reichsten Chinesen. Er profitierte davon, dass die neu entstehende chinesische Mittelschicht immer mehr Vermögen anhäufte. Die beliebteste Möglichkeit, dieses neue Geld zu investieren war der Kauf einer Wohnung – am liebsten von Evergrande.
Dadurch wurden die Bauprojekte des Konzerns immer größer. Die Politik unterstützte den gesamten Bausektor wohlwollend, da es dem politischen Ziel, den Wohlstand aller Chinesen zu vergrößern, entgegenkam. Durch die stetig steigenden Immobilienpreise schuf sich der Markt quasi selber ein perpetuum mobile: immer mehr und immer teurere Immobilien mussten her, um die Nachfrage zu bedienen.
Irgendwann wurde aber selbst der wachsende Immobilienmarkt zu klein für Evergrande. Der Konzern expandierte in neue Geschäftsfelder. Bald gehörte eine Wassermarke, ein Fußballverein sowie eine Sparte für E-Autos zu dem Unternehmen. Evergrande kaufte beispielsweise den ehemaligen schwedischen Autobauer Saab. Finanziert wurde das alles mit immer neuen Schulden. Das war lange auch kein Problem, denn der Wert der Kreditsicherheiten stieg ja auch immer weiter. Die Immobilienprojekte wurden wertvoller durch die steigenden Immobilienpreise, die Elektro-Auto-Sparte wurde durch den Aufstieg Teslas und anderer Konkurrenten ebenfalls mit einer hohen zweistelligen Milliardensumme bewertet.
Doch in den letzten Wochen veränderte Sich die Situation schlagartig. Anfangs standen nur diverse coronabedingte Verzögerungen bei Immobilien-Projekten auf der Agenda. Allerdings konnten dadurch Immobilien nicht oder nur verspätet fertiggestellt werden, so dass die bereits eingeplanten Verkaufserlöse nicht in die Kasse des Konzerns flossen.
Dann begann ein dramatischer Kursverfall der börsennotierten E-Auto-Tochter von Evergrande. Nachdem Zweifel über die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells aufkamen, fiel der Aktienkurs innerhalb weniger Wochen über siebzig Prozent. Evergrande hatte Schwierigkeiten, fällige Zinsen für Wertpapiere zu zahlen, die vor allem an private Kleininvestoren verkauft wurden.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde überhaupt öffentlich, wie hoch die gesamte Verschuldung des Immobilien-Giganten war. Insgesamt weist der Konzern Verbindlichkeiten von mehr als 300 Milliarden Dollar aus. Davon müssen mehr als 50 Milliarden Dollar bereits in diesem Jahr zurückgezahlt werden. Neben der unglaublichen Höhe ist die Verteilung der Schulden ein weiteres Problem. Evergrande hat „nur“ 16 Milliarden Dollar an internationalen Anleihen ausgegeben. Die größten Schuldner sind die chinesischen Großbanken, inländische Privatinvestoren sowie die Immobilienkäufer, die bereits Anzahlungen geleistet haben. Rutscht Evergrande in die Insolvenz, dürfte das bei vielen Chinesen ein großes Loch in die Taschen reißen.
Das stellt die Regierung vor ein großes Problem. Staatschef Xi Jinping will eigentlich keine insolventen Konzerne mehr aus der Staatskasse retten, wie es früher oft die Regel war. In diesem Fall wären aber nicht (internationale) Investoren die Leidtragenden eines Zahlungsausfalls, sondern Millionen chinesischer Arbeiterfamilien und unzählige Handwerker. Außerdem könnten die Schockwellen einer Insolvenz den gesamten chinesischen Immobiliensektor in die Tiefe reißen. Dies würde aber bedeuten, dass das chinesische Wirtschaftswachstums mindestens einen ordentlichen Dämpfer erfährt.
Da dieses Thema nicht nur komplex, sondern auch hochpolitisch ist, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Regierung bislang noch nicht positioniert hat, was passieren wird, wenn Evergrande tatsächlich zahlungsunfähig wird. Der Konzern versucht gerade, seinen Anlegern die fälligen Zinsen nicht in Yuan, sondern in Immobilien-Anteilen zurück zu zahlen. Dies mag zwar ein kreativer Ansatz sein, ob es aber hilft, eine Insolvenz abzuwenden, ist doch eher fraglich.
Wenn die Regierung eingreift, dürften vor allem zwei Aspekte im Vordergrund stehen: der Schutz der kleinen Anleger und der Schutz des Immobilienmarktes. Der Staat wird mit allen Mitteln versuchen, eine Krise zu vermeiden, die sich im gesamten Immobiliensektor – und dann vielleicht auch im nationalen Bankensektor – ausbreiten könnte. Ausländische Investoren, also insbesondere die Käufer der Anleihen von Evergrande, dürften nicht diesen hohen Schutz genießen. Auch die Aktionäre dürften sich auf schmerzhafte Einschnitte einstellen. Der Aktien- und der Immobilienmarkt an sich dürften aber keine dramatischen Konsequenzen befürchten – dafür steht für den Chinesischen Staat einfach zu viel auf dem Spiel.
Ihr
DGK & Co. Vermögensverwaltungsteam
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